Ein paar Gedanken über die Bühne: Warum ist sie etwas so Besonderes für einige von uns?
Schon als Kind habe ich mich in verschiedenen Theater- und Ballettvorstellungen gefragt, was das für Menschen sind, die ich als Zuschauerin dort auf der Bühne erleben darf. Sind das ganz normale Menschen wie ich selbst? Denen ein bestimmtes Essen nicht schmeckt oder die manchmal nicht gut einschlafen können? In meiner kindlichen Perspektive erschienen mir damals besonders Tänzer:innen, aber auch Musiker:innen, Schauspieler:innen etc. auf der Bühne oft als etwas Entrücktes, als nicht greifbare Wesen aus einer anderen Welt. Eine andere Frage war: Ist diese Geschichte „echt“, die ich dort auf der Bühne gesehen habe? Befinden sich die Menschen selbst in dieser Geschichte, sind sie ein Teil davon?
Im Laufe der Tanzausbildung, der Tanzerfahrung und der Organisation von Aufführungen habe ich natürlich gelernt, dass Bühnenmenschen ganz normale Alltagssorgen haben, dass ihr Terminkalender genauso „tickt“ wie bei jedem anderen auch – und dass die Abläufe auf der Bühne nur mit akkurater Vorbereitung und Organisation im Hintergrund funktionieren (oder auch nicht…). So musste ich während eines Theaterpraktikums in der Vorstellung aus der Seitengasse einen Tennisball bei einem ganz bestimmten Stichwort auf die Bühne werfen. Traf der Ball zu spät, war der ganze Effekt der Szene dahin.
Aber trotz all dieser praktischen Aspekte ist immer noch ein gewisser Zauber geblieben, ein Gefühl, als befinde man sich in einer anderen Welt, sobald man Bühnenbretter betritt: in einer Welt, die vielleicht anders funktioniert, die eigenen Gesetzen folgt und in der völlig unerwartete Dinge geschehen können. Was ist das Besondere an diesem „anderen“ Raum? Die Atmosphäre, die Kulissen, das Scheinwerferlicht?
Jemand (der mich aber nicht gut gekannt hat) hat vor vielen Jahren einmal gesagt, ich sei auf der Bühne ein anderer Mensch. Sicherlich haben die meisten Bühnendarsteller:innen erlebt, wie man sich – auf welche Weise auch immer – verändert, wenn man eine Bühne betritt. Es ist, als tauche man ein in eine andere Realität. Aber verwandelt man sich dort wirklich in jemand „anderen“, setzt man eine Maske auf oder nimmt man sein eigenes Wesen mit in die Bühnenwelt? Oder ist es ein bisschen von allem zusammen? Dies muss vielleicht jeder für sich selbst beantworten bzw. als Schauspieler:in entsprechende Techniken lernen und ausprobieren.
Mit Fragen nach der Funktion von Theater und Bühnenhandlung, nach Authentizität und Performance von Darstellungen etc. haben sich im Laufe der Geschichte seit jeher große Denker beschäftigt, angefangen bei Aristoteles über Ephraim Lessing, Bertold Brecht und Samuel Beckett bis hin zu modernen Regisseur:innen, Choreograf:innen und Theaterwissenschaftler:innen wie Christoph Schlingensief, Gabriele Brandstetter oder Erika Fischer-Lichte. Abseits von all ihren interessanten Konzepten sei hier nur so viel gesagt, dass der Bühnenraum in jedem Fall die Möglichkeit bietet, neue Rollen auszuprobieren und verborgene Seiten von sich zu entdecken. Wie gut das gelingt bzw. wie wohl man sich dabei fühlt, hängt vermutlich davon ab, ob und wie gut einem die Rolle, das Stück und die Geschichte gefallen. Die jeweilige Rolle, Kunstform oder Handlung gibt den Darsteller:innen dabei je nachdem einen Rahmen, ein Ziel oder manchmal auch ein Idealbild vor, an denen man sich in dieser anderen Bühnenwelt orientieren kann.
Aber obwohl man sich im Bühnenraum diesen Regeln der jeweiligen Kunst anpasst, mit ihnen spielt oder sie gar bricht, so trägt man doch immer seine eigene Interpretation in die Darbietung hinein. Das eigene Wesen kommt eben doch mit durch den Vorhang, es bleibt nicht hinter ihm zurück – zumindest sollte es das unserer Meinung nach nicht. Es sollte nicht versteckt werden hinter einer „Bühnenmaske“, denn nur auf diese Weise erwachen Darstellungen zum Leben und geben den Zuschauer:innen das Gefühl, einen ganz einzigartigen Augenblick der Darbietung zu erleben. Vorgegebene Rollen mögen auf den Bühnenbrettern eine Orientierung bieten, aber sie sollten nicht das eigene Wesen des jeweiligen Tänzers, der Schauspielerin komplett überdecken. Der Grad der Individualität mag zwar abhängig sein von Ziel und Art der Performance, von der Szene oder von der Gruppe, aber dennoch machen uns in der Regel persönliche Interpretationen in all ihrer Vielfalt viel mehr Spaß als leere Abziehbilder!